Wirtschaftlich war 2023 ein schwieriges Jahr: Preissteigerungen, hohe Zinsen und Fachkräftemangel hielten Bevölkerung und Betriebe in Atem. Wie haben sich in diesem Umfeld die Finanzen der Deutschen Rentenversicherung entwickelt?
Gunkel: Die Deutsche Rentenversicherung steht finanziell weiterhin gut da. Ein wesentlicher Grund dafür ist der weiterhin kontinuierliche Anstieg unserer Einnahmen aus beitragspflichtiger Beschäftigung. Hier profitieren wir davon, dass im vergangenen Jahr sowohl die Löhne gestiegen sind als auch so viele Menschen wie noch nie in sozialversicherungspflichtiger Arbeit waren. Dadurch sind unsere Einnahmen im Vergleich zu 2022 um 5,0 Prozent auf 381,2 Milliarden Euro gestiegen. Demgegenüber sind die Ausgaben um 5,6 Prozent auf 379,8 Milliarden Euro gewachsen – unterm Strich verbuchen wir für 2023 einen Überschuss von 1,5 Milliarden Euro.
Piel: Zugleich konnten sich die Rentnerinnen und Rentner auch 2023 wieder über ein Plus bei der Rente freuen. Der Rentenwert Ost stieg zum 1. Juli 2023 um 5,86 Prozent und der Rentenwert West um 4,39 Prozent. Seit dieser Rentenanpassung ist der Rentenwert in ganz Deutschland einheitlich. Das ist sehr erfreulich – auch weil die Rentenangleichung ein Jahr früher gelungen ist, als es gesetzlich vorgesehen war. Und auch die Rentenanpassung 2024 bringt positive Nachrichten: Der aktuelle Rentenwert steigt zum 1. Juli 2024 um 4,57 Prozent auf 39,32 Euro. Rückschauend betrachtet hat es für die Rentnerinnen und Rentner seit 2010 ein deutliches Plus bei der Rente gegeben. Der Anstieg lag deutlich über der Entwicklung der Inflation in diesem Zeitraum. In den letzten beiden Jahren stiegen die Preise jedoch stärker als die Renten, aber auch als die Löhne. Ab diesem Jahr dürften diese wieder stärker als die Preise steigen.
Anja Piel ist seit dem 20. August 2020 alternierende Vorsitzende des Bundesvorstandes der Deutschen Rentenversicherung Bund für die Gruppe der Versicherten.
Alexander Gunkel ist seit dem 1. Oktober 2005 alternierender Vorsitzender des Bundesvorstandes der Deutschen Rentenversicherung Bund für die Gruppe der Arbeitgeber.
Im Zuge der Einsparbemühungen beschloss die Bundesregierung, die Bundeszuschüsse an die gesetzliche Rentenversicherung zu kürzen. Was bedeutet das für die Finanzen der Deutschen Rentenversicherung und für die Beitragszahlerinnen und -zahler?
Gunkel: Neben den abgeschafften Sonderzahlungen von jährlich 500 Millionen Euro zwischen 2022 und 2025 hat der Gesetzgeber zur Haushaltskonsolidierung die Bundeszuschüsse zwischen 2024 bis 2027 jährlich um weitere 1,2 Milliarden Euro gekürzt. Das bedeutet, dass die Bundesregierung ihren Haushalt mit den Beiträgen der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten und der Arbeitgeber saniert: Reduziert der Bund die Bundeszuschüsse, sinken auch die Einnahmen der Rentenversicherung.
Piel: Um die Rentenzahlungen in gewohnter Weise zuverlässig leisten zu können, wird nun die Nachhaltigkeitsrücklage schneller abgebaut werden. Dies kann dazu führen, dass der Beitragssatz früher oder stärker angehoben werden muss als bislang prognostiziert. Durch das schnellere Abschmelzen der Nachhaltigkeitsrücklage und die nötige Anhebung des Beitragssatzes greift der Bund indirekt auf die Beiträge der Beitragszahlerinnen und Beitragszahler zu. Der Bundeshaushalt wird auf deren Schultern konsolidiert.

Im vergangenen Jahr fand auch die Sozialwahl statt. Was steckt hinter dieser Wahl und was ist seitdem passiert?
Gunkel: Die Sozialwahlen finden alle sechs Jahre statt und sind das demokratische Herzstück der Sozialversicherung. Über sie bestimmen die Versicherten, Rentnerinnen und Rentner und die Arbeitgeber den Kurs der Deutschen Rentenversicherung mit – in vielen Teilen unabhängig von der Politik! Zum 31. Mai 2023 wurden die Vertreterinnen und Vertreter in die Vertreterversammlungen der Rentenversicherungsträger gewählt. Inzwischen haben sich die Gremien konstituiert, die ehrenamtlichen Mitglieder der Selbstverwaltung haben ihre Arbeit aufgenommen.
Wie profitieren die Menschen von der sozialen Selbstverwaltung?
Piel: Die Selbstverwalterinnen und Selbstverwalter treffen wichtige Entscheidungen in Finanz-, Organisations- und Personalfragen, aber auch zu den Leistungen der Deutschen Rentenversicherung. Ein konkretes Beispiel: In der letzten Amtsperiode hat die Selbstverwaltung die Stärkung der Kinderrehabilitation beschlossen. Seitdem können Kinder und Jugendliche auch eine ambulante Reha machen. So bleiben sie während der Rehabilitation in ihrem sozialen Umfeld. Zudem wurde die Altersgrenze für eine Begleitung der Kinder während der Rehabilitation, zum Beispiel durch einen Elternteil, vom 10. auf den 12. Geburtstag des Kindes angehoben. Darüber hinaus wählt die Selbstverwaltung auch die Versichertenberaterinnen und -berater. Diese engagieren sich ehrenamtlich und unterstützen die Versicherten, indem sie – kostenlos und wohnortnah – Anträge aufnehmen und Fragen rund um die Rentenantragstellung beantworten.

Sie haben die Rehabilitation angesprochen. Diese stand als eine tragende Säule des Gesundheitssystems auch unter dem Eindruck der Coronapandemie. Wie hat sie sich in letzter Zeit entwickelt?
Piel: In Zeiten der Pandemie war der Klinikbetrieb natürlich eine Herausforderung. Das äußerte sich auch in der Zahl der durchgeführten medizinischen Rehabilitationen: In den Jahren vor der Pandemie lag sie in der Regel über einer Million, im Jahr 2020 waren es nur noch rund 866.000. Doch seitdem steigen die Zahlen kontinuierlich. 2023 wurden bereits wieder 994.000 medizinische Rehas durchgeführt. Ein Teil dieser Rehabilitationen wird auch im Zusammenhang mit Langzeitfolgen von COVID-19 erbracht. Erfreulich ist: Studien zeigen, dass die Post-COVID-Reha der Deutschen Rentenversicherung den Menschen immer besser hilft, ihre Beschwerden zu lindern und ihre Erwerbsfähigkeit wiederherzustellen. Das unterstützt die Menschen dabei, ihre berufliche Teilhabe zu sichern.
Im vergangenen Jahr hat die Selbstverwaltung ein Gesetz zur Stärkung der Rehabilitation mit vier verbindlichen Entscheidungen mit Leben gefüllt. Worum geht es dabei genau?
Gunkel: 2023 hat die Selbstverwaltung verbindliche Entscheidungen, das sind besondere, untergesetzliche Regelungen, zum neuen Beschaffungsrecht für medizinische Rehabilitationsleistungen getroffen und damit Regelungen des Gesetzgebers konkretisiert. Die Versicherten haben jetzt ein stärkeres Mitspracherecht bei der Wahl ihrer Reha-Klinik. Für die Suche nach einer Klinik steht nun ein neues Portal zur Verfügung. Interessierte können dort sämtliche Kliniken, die eine für ihr Leiden passende Rehabilitation anbieten, finden und miteinander vergleichen. Ein wichtiger Aspekt ist dabei die Qualität: Die Einrichtungen werden nach einheitlichen Kriterien geprüft. Über das Ergebnis können sich die Versicherten auf dem Portal informieren. Kurz gesagt: Mit dem Portal ist es nun deutlich einfacher, eine passende Klinik zu finden und das bestehende Wunsch- und Wahlrecht auszuüben.
Die Digitalisierung ist in aller Munde und hat als Megatrend auch die Deutsche Rentenversicherung erfasst. Können Sie uns Einblicke verschaffen, in welchen Bereichen das Thema an Relevanz gewonnen hat?
Piel: Die Deutsche Rentenversicherung erweitert kontinuierlich ihre digitalen Angebote. Neben dem gerade angesprochenen Reha-Portal startete im vergangenen Jahr auch die Digitale Rentenübersicht. Sie liefert den Nutzerinnen und Nutzern einen Überblick über ihre persönlichen Altersvorsorgeansprüche aus gesetzlicher, betrieblicher und privater Alterssicherung – direkt auf dem Smartphone, dem Tablet oder dem PC. Ein weiterer Meilenstein ist der Start unseres digitalen Kundenportals. Versicherte, Rentnerinnen und Rentner können rund um die Uhr Anträge stellen, wichtige Unterlagen einsehen und elektronische Post empfangen. Die Abrufzahlen des Kundenportals sprechen für sich: Seit dem Start im August 2023 haben sich bis Jahresende schon knapp 140.000 Nutzerinnen und Nutzer registriert und über 2,1 Millionen Aufrufe durchgeführt.
Gunkel: Darüber hinaus profitiert auch die Verwaltung von der Digitalisierung unserer Geschäftsprozesse. Viele Aufgaben werden sich durch digitale Abläufe noch effizienter erledigen oder weiter automatisieren lassen. Insbesondere mit Blick auf die doppelte demografische Herausforderung, also den anstehenden Renteneintritt der Babyboomer und das Ausscheiden vieler Beschäftigter der Rentenversicherung aus dem Berufsleben, ist die digitale Transformation für die Deutsche Rentenversicherung in mehrfacher Hinsicht essenziell.